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Joumane Merhe ist eine der unerschrockenen Frauen im Libanon, die seit Jahrzehnten kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es um den Kampf für Frauenrechte geht. Die ehemalige Vorsitzende der Demokratischen Libanesischen Frauenvereinigung hat heute eine leitende Funktion bei einer wissenschaftlichen Gesellschaft inne, die die Entwicklung der Menschen- und Frauenrechte in der gesamten arabischen Region verfolgt.
Zur aktuellen Situation der Frauen im Libanon hat Merhe hat keine guten Nachrichten. Am schlimmsten gehe es den Frauen und Kindern der rund 1,5 Millionen geflüchteten Syrer, die sich im Libanon meist ohne Arbeitserlaubnis über Wasser halten müssen. Prostitution und sexuelle Gewalt seien hier an der Tagesordnung. An dem Tag, als wir uns unterhalten, ist im Libanon gerade ein krimineller Ring aufgeflogen, der 76 minderjährige Syrerinnen zur Prostitution gezwungen hat.
Ungebildete syrische Familien, die sich in den großen Flüchtlingslagern der Bekaa-Ebene mit Tagelöhner-Arbeit auf den Feldern nicht über Wasser halten könnten, würden häufig ihre minderjährigen Töchter verheiraten: „Sie haben dann einen Esser weniger. Und die sogenannte Morgengabe verschafft ihnen in ihrem entwürdigenden Überlebenskampf ein wenig Luft.“ Es gäbe Fälle, in denen reiche Saudis oder Scheichs aus den Emiraten diese Mädchen im Libanon heirateten und nach Abschluss ihres Urlaubsaufenthalts wieder auf die Straße setzten, berichtet die 51jährige aus dem scheinbar unerschöpflichen Reservoir an Horrorgeschichten, die die Flüchtlingskatastrophe in diesem Land schreibt. Wenn diese minderjährigen Mädchen schwanger werden, würden deren Neugeborene zuweilen für 200 Dollar verkauft. An wen?: „Organhändlerringe“.
Joumane Merhe erzählt diese Geschichten in einer Nüchternheit, die die Arbeit einer unermüdlichen Aufklärerin verlangt. Die Frauenbewegung im Libanon sei die stärkste Bürgerbewegung des Landes. Einem Land, in dem der Konfessionalismus nicht nur den Staat im Griff hat – besser zur lähmenden Untätigkeit verdammt. Einem Land, in dem Christen, Sunniten und Schiiten alle leitenden Funktionen in der Verwaltung oder beim Militär unter sich aufteilen. Einem Land, in dem die Familiengerichtsbarkeit bei den Konfessionen liegt. Einem Land, in dem die Frauen selbst bei den linken politischen Parteien kaum eine Chance hätten. In diesem Land habe die Frauenbewegung in den vergangenen Jahrzehnten immerhin erreicht, dass der sogenannte Ehrenmord abgeschafft, Gewalt in der Ehe offiziell verboten wurden.
„Wir wissen aber auch, dass diese Errungenschaften in der Realität noch kaum angekommen sind“, sagt die 51jährige. Die Frauenbewegung sei in mehreren Länder auch an der Spitze des Arabischen Frühlings marschiert: In Tunesien und in Ägypten etwa. Bei den Protesten im Libanon seien Frauen von den Sicherheitskräften gezielt aus der Menge herausgezogen worden. „Nach einer dieser Verhaftungen sind die Frauen gynäkologisch auf ihre Jungfräulichkeit untersucht worden“, berichtet die Frauen- und Menschenrechtlerin: „Nachdem wir das öffentlich gemacht haben, hieß es, die Polizei habe sich damit von dem Vorwurf entlasten wollen, sie hätte die Frauen vergewaltigt.“
Joumane Merhe hat sich seit ihrer Schulzeit in der Frauenbewegung engagiert. Die gebürtige Drusin wuchs in einer Familie mit drei Töchtern und einem Sohn auf: „Er war in unserer Kindheit immer mehr wert, als wir drei zusammen.“ Ihr Erweckungserlebnis hatte Merhe im libanesischen Bürgerkrieg (1975 – 1990). Der Vater hatte seine Arbeit verloren. So sah sich die Mutter gezwungen, für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen. Verachtung und Ächtung unter Nachbarn und Verwandten seien die Folge gewesen.
Heute seien Mädchen zumindest im libanesischen Schulsystem kaum noch benachteiligt. In der Wirtschaft, in der die Religionsgemeinschaften keinen Einfluss hätten, seien inzwischen landesweit 37 Prozent der Beschäftigten Frauen. Mit ihrem Mann, einen gebürtigen Sunniten (Sunniten und Schiiten betrachten die Drusen gemeinhin als Glaubensabtrünnige) hat Merhe zwei Töchter. Sie selbst bezeichnet sich als Laizistin, die unermüdlich darauf hinarbeitet, dass im Libanon Staat und Religion klar voneinander getrennt würden.
Ob Ihre Töchter das eines Tages erleben werden? „Ich weiß es nicht“, sagt Merhe: „Aber wenn wir immer nur für das gekämpft hätten, was wir für erreichbar gehalten haben, hätten wir wahrscheinlich noch gar nichts erreicht.“