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Souheil El Natour gehört zu der Sorte Advokaten, die über das jahrzehntelange Abtauchen in die Welt der Paragrafen ihren Humor nicht verloren haben. „Auf dem Foto sehe ich aber ganz schön aus“, kommentiert der 69jährige den Blick auf den Handyschnappschuss, den der Autor ihm nach dem Gespräch gewährt. Dieser sprühende alte Mann hat gleich mehrere Professionen. Als studierter Jurist ficht der Palästinenser Rechtsstreitigkeiten aller Art für die rund 500 000 palästinensischen Flüchtlinge im Libanon aus. Dabei muss er sich stets libanesischer Berufskollegen bedienen, weil Palästinenser im Libanon in allen akademischen Schlüsselberufen einem Berufsverbot unterworfen sind.
Die endlose Serie der Misserfolge seiner Arbeit – z.B. gegen diese Berufsverbote, gegen die geraubte Reisefreiheit oder gegen das Verbot, Grundstücke und Häuser zu erwerben – hat ihn offenbar nicht mürbe gemacht. Souheil El Natour ist stets mit dabei, wenn die führenden Köpfe der Palästinenser im Libanon politische Kampagnen entwerfen. Und er ist mit seiner umwerfend geistreichen Art einer der besten Botschafter für die Sache seines Volkes.
Da die Weltpolitik angesichts der weitaus größerer Nahost-Probleme wie den Bürgerkriegen in Syrien und im Irak oder dem Zerfall Libyens die Palästinenser und ihr Schicksal zu vergessen scheinen, betreibt El Natour Basisarbeit und empfängt eine unbedeutende Besuchergruppe aus Deutschland.
Natour ist ein Jahr vor der Vertreibung hunderttausender Familien aus Palästina geboren. Der Sohn eines gläubigen Muslim ist bekennender Atheist. Seinen Sohn und seine Tochter, die er spät bekommen hat, hat er trotz auch deren aussichtslosen Berufsperspektiven auf die Universität geschickt. Der Sohn hat Betriebswirtschaft studiert, seine Tochter Electrical Engineering.
In einem atemberaubenden Tempo erzählt der Anwalt die ewig fortgeschrieben Geschichte der Unterdrückung der Palästinenser. Die Erwartung seiner Eltern, infolge der Un-Resolution 194 wenige Wochen nach der Vertreibung in die Heimatstadt Akko zurückkehren zu können. Über die Privilegierung der christlichen Palästinenser im Libanon, denen im Gegensatz zu ihren muslimischen Brüdern in den frühen Jahrzehnten nach der Vertreibung Möglichkeiten eröffnet wurden, die Lager zu verlassen und sich im Libanon zu integrieren. Bis zu der erzwungenen Auswanderung vieler Palästinenser, die für ein paar Jahre in den Golfstaaten arbeiten wollen.
Wenn diese die teuren Gastarbeiterlizenzen für drei Jahre erworben haben, nach einem Jahr aber ihren Job dort verlieren, nimmt sie der libanesische Staat nicht mehr zurück: „Auf diese Weise landen noch immer viele unserer Söhne in Chile, in den USA oder Kanada.“
Die Wirren des Bürgerkriegs, der von 1975 bis 1990 im Libanon wütete, hätten die Palästinenser genutzt, um die beengten Lager mehrstöckig auszubauen. Spätestens seit diesem Bürgerkrieg sind diese Lager zu Staaten im Staate geworden, die von der libanesischen Armee zwar von außen kontrolliert werden, in die sich aber keine staatlichen Sicherheitskräfte hineintrauen. Im größten Palästinenserlager im Beirut, in dem 80 000 Menschen auf rund einem Quadratkilometer leben, kommt es regelmäßig zu Schießereien konkurrierender Milizen.
Wie sich diese Entwicklung mit El Natours Botschaft von einem freien, friedvollen und demokratischen Palästina verträgt, kann auch der wortgewandte Anwalt nur unzureichend erklären. In einem Land, in dem jede Religionsgemeinschaft ihre eigenen Milizen habe, hätten sich auch die Palästinenser bewaffnen müssen, lautet die eine. Um die rhetorische Frage anzuschließen: Bei der zweiten wird er persönlicher: „Wenn der Sohn für seine sterbenskranke Mutter keinen Platz in einem Hospital bekommt, muss man sich dann wundern, dass er radikalisiert wird?“
Ungut ist für Souheil El Natour nur die islamistische Hamas, die sich nicht nur im Gazastreifen von der PLO losgesagt hat und ihren eigenen Kampf führt: „Wir glauben nicht an dem Himmel mit 99 Jungfrauen. Wenn Du Glück hast, kannst Du es in Deinem irdischen Leben zu einem Haus bringen und eine Frau heiraten – mehr wollen wir nicht.“